Wie Sie Ihre Zuhörer fesseln – Kognitionspsychologische Hintergründe

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Stellen Sie sich vor, Sie stehen als Redner auf der Bühne. Nach einem erfolgreichen Anfang Ihrer Rede bemerken Sie jedoch, dass Ihr Publikum mehr und mehr abschweift. Die Zuschauer schielen auf die Uhr, werden unruhig, manche fangen an zu gähnen.

Damit Ihnen das nicht passiert, will ich Ihnen ein paar kognitionspsychologische Phänomene vorstellen, die Sie bei der Vorbereitung Ihres nächsten Vortrags beachten sollten.

(Lesedauer 5 Minuten)

Der Mensch denkt in zwei Denkmodi – System 1 und System 2

Der Mensch denkt grundsätzlich auf zwei Arten bzw. in zwei Denkmodi. Der Psychologe Daniel Kahneman spricht in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von zwei Denksystemen – System 1 und System 2.

System 1 macht das, was im Allgemeinen als intuitives Denken bezeichnet wird. Es arbeitet automatisch, schnell und mühelos und wird deshalb häufig auch als Autopilot bezeichnet. Neue Informationen verknüpft System 1 mit bekannten und erzeugt so Assoziationen. Eine interessante Besonderheit von System 1 ist, dass es sich, ohne es zu merken, ausschließlich auf verfügbare Informationen konzentriert und fehlende Informationen ausblendet. Aus diesen verfügbaren Informationen konstruiert es überzeugende Geschichten, die die Grundlage für seine Urteile und Entscheidungen darstellen. Wenn System 1 keine automatisierte Antwort findet, ersetzt es schwierige Fragen einfach durch eine leichtere, die es intuitiv beantworten kann. Zudem hält System 1 Informationen, die leicht verarbeitet werden können, für angenehm, wahr und vertrauenswürdig.

System 2 hingegen kommt zum Einsatz, wenn man bewusst und intensiv über eine Sache nachdenken muss. Dementsprechend wird es häufig als Pilot bezeichnet. Die Hauptfunktion von System 2 ist es, die von System 1 vorgeschlagenen Gedanken und Handlungen zu überwachen und zu kontrollieren. Dafür ist allerdings bewusste Aufmerksamkeit notwendig. System 2 kann geordnete Gedanken konstruieren und zwischen Optionen wählen. Dabei ist es jedoch recht langsam und energie-ineffizient. Die Operationen von System 2 gehen mit dem subjektiven Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher, sind aber auch mit einem Gefühl der Anstrengung verbunden.

Die meisten unserer Entscheidungen treffen wir intuitiv

Viele Entscheidungen, die wir am Tag treffen, basieren nicht auf einer eingehenden und umfassenden Analyse, sondern auf intuitiven Schlussfolgerungen von System 1.

Im Folgenden möchte ich auf drei Eigenschaften von System 1 näher eingehen, die man berücksichtigen sollte, wenn man die Zuhörer mit einem spannenden Vortrag fesseln will:

  1. System 1 konzentriert sich allein auf verfügbare Informationen und blendet fehlende aus, ohne es zu merken. Aus diesen Informationen konstruiert System 1 überzeugende Geschichten, die die Grundlage für seine Bewertungen und Entscheidungen darstellen.
  2. System 1 ersetzt manchmal eine schwierige Frage durch eine leichtere.
  3. System 1 hält Informationen, die leicht verarbeitet werden können, für angenehm, wahr und vertrauenswürdig.

What You See Is All There Is

Eine Besonderheit von System 1 ist, dass es sich bei seinen Beurteilungen nur auf die direkt verfügbaren Informationen konzentriert und fehlende Informationen ausblendet, ohne sich dessen bewusst zu sein. Daniel Kahneman nennt dieses Vorgehen What You See Is All There Is (WYSIATI).

Aus diesen Informationen konstruiert System 1 überzeugende, kohärente und kausale Geschichten, die die Grundlage für seine Urteile und Entscheidungen bilden.

Für diese Geschichten spielt zudem der Umstand eine entscheidende Rolle, dass der Mensch von Geburt an darauf ausgelegt ist,

  • in Mustern nach Bedeutung zu suchen,
  • aus zufälligen Zusammenhängen (Korrelationen) Kausalbeziehungen zu lesen und
  • zeitlich vorausgehende Ereignisse als Ursache des später Geschehenden zu sehen (sog. Ursache-Illusion).

Alles in allem folgt daraus, dass für Entscheidungen von System 1 allein die Plausibilität einer Geschichte auf Basis der vorhandenen Informationen ausschlaggebend ist.

Schwierige Fragen werden durch einfache Fragen ersetzt

Eine weitere Eigenschaft von System 1 ist das Zurückgreifen auf Heuristiken. Unter einer Heuristik versteht man ein einfaches Verfahren, das uns hilft, adäquate, wenn auch oftmals unvollkommene Antworten auf schwierige Fragen zu finden.

Wenn Menschen Entscheidungen treffen müssen, aber die für eine begründete Analyse notwendigen Informationen nicht unmittelbar verfügbar sind, greifen sie auf einfachere Bewertungen zurück, die schnell und automatisch erfolgen. Die eigentliche, komplexe Frage wird dabei unbewusst durch eine einfachere Frage ersetzt.

Eine der bekanntesten Ersetzungen ist wohl die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten beim Autofahren. Bekanntermaßen schätzen, je nach Studie, bis zu 90% aller Autofahrer ihre Fahrkünste als überdurchschnittlich ein. Diese Selbstüberschätzung lässt sich damit erklären, dass statt der komplexen und nur schwer überprüfbaren Frage nach den eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu allen anderen Autofahrern die Frage beantwortet wird, wie sicher man sich beim Autofahren fühlt und wie leicht man es im Allgemeinen empfindet, ein Auto zu steuern.

Auch im Alltag begegnen wir zahlreichen Ersetzungen:

Beispielsweise wird die Häufigkeit bestimmter Ereignisse anhand der Leichtigkeit eingeschätzt, mit der ein entsprechendes Beispiel aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann (Verfügbarkeitsheuristik). Das ist einer der Gründe für die große Angst vieler Menschen, Opfer eines Terroranschlags zu werden, obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür äußerst gering ist.

Bei vielen Urteilen und Entscheidungen ziehen Menschen unbewusst ihre aktuellen Emotionen heran. Sie beantworten also nicht die Fragestellung an sich, sondern wie sie bezüglich der Fragestellung empfinden (Affektheuristik). Kunden beispielsweise, die gegenüber einem Projekt positiv gestimmt sind, schätzen seinen Nutzen tendenziell höher und seine Risiken und Kosten geringer ein – unabhängig von der Faktenlage.

Auch der sogenannte Halo-Effekt basiert auf einer Ersetzung. Urteile über mögliche Eigenschaften einer Person, zu denen man keine Informationen hat, werden konsistent zum ersten Eindruck einfach ergänzt.

Je leichter, umso besser

Große Bedeutung hat auch die sogenannte kognitive Leichtigkeit. Kognitive Leichtigkeit beschreibt, wie mühelos bestimmte kognitive Tätigkeiten vom Gehirn verarbeitet werden können.

Eine hohe kognitive Leichtigkeit ist ein Zeichen dafür, dass die Situation unter Kontrolle ist und es kein Problem zu lösen gibt. Es besteht dementsprechend keine Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und System 2 zu mobilisieren. Eine hohe kognitive Leichtigkeit hat also ein Gefühl der Mühelosigkeit zur Folge.

Eine geringe kognitive Leichtigkeit hingegen ist ein Hinweis auf ein Problem und die Notwendigkeit, System 2 zu mobilisieren. Sie geht dementsprechend mit dem Gefühl kognitiver Anstrengung einher, was der Mensch tendenziell vermeiden möchte.

Das Gefühl der kognitiven Leichtigkeit kann dabei von vier Faktoren beeinflusst werden:

  1. Wiederholte Auseinandersetzung mit der Information
  2. Aktivierung von Assoziationen im Gedächtnis durch Vorerfahrungen (sog. Priming)
  3. Klare Darstellung der Information
  4. Gute Laune

Eine hohe kognitive Leichtigkeit wiederum hat neben dem angenehmen Gefühl der Mühelosigkeit weitere interessante Effekte: kognitive Tätigkeiten, die sich durch eine hohe Leichtigkeit auszeichnen, fühlen sich vertraut und gut an und erscheinen wahr – und zwar unabhängig davon, worauf das Gefühl der kognitiven Leichtigkeit begründet ist!

Einflussfaktoren auf und Folgen von kognitiver Leichtigkeit

Erzählen Sie Geschichten

Aus den angesprochenen Eigenschaften von System 1 lassen sich drei wichtige Schlüsse ziehen, die man bei der Vorbereitung eines Vortrags berücksichtigen sollte:

  1. Das Gehirn lässt sich am besten von plausiblen, schlüssigen Geschichten überzeugen.
  2. Für Urteile werden komplexe Fragen durch verfügbare plakative Beispiele und die aktuellen Emotionen ersetzt.
  3. Je verständlicher, schlüssiger und angenehmer eine Aussage wahrgenommen wird, desto höher ist die kognitive Leichtigkeit und damit das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt der Aussage.

Implizite Urteile von System 1, und somit die Wirkung seiner Eigenschaften spielen insbesondere in Situationen eine wichtige Rolle, in denen eine Person keine vollständigen Informationen zur Urteilsbildung hat oder die Verarbeitung aller vorhandenen Informationen unmöglich oder sehr aufwändig ist – also wenn ein Urteil zwangsläufig auf Heuristiken basiert.

In unserem Arbeitsalltag befinden wir uns sehr häufig in solchen Situationen – seien es Pitch-Präsentationen für komplexe Projekte, die Vorstellung der letzten Quartalszahlen vor der Geschäftsführung oder die Überzeugung der Mitarbeiter von der neuen Geschäftsstrategie.

Damit unsere Aussagen dennoch die Zuhörer erreichen, ist die effektivste Methode, meiner Meinung nach, das Storytelling. Damit meine ich nicht, dass jeder Vortrag im Sinne der bekannten Heldenreise aufgebaut sein muss. Allein schon die Verwendung von Analogien, Anekdoten oder fiktiven, handelnden Personen, die die Informationen bildlich, konkret und dadurch nachvollziehbar machen, haben eine große Wirkung.

Das System 1 Ihrer Zuhörer wird den Geschichten gerne lauschen.