Du darfst! – Mit Permission-Marketing Kundenbeziehungen aufbauen
Die heutigen technischen Möglichkeiten erlauben es Vermarktern, an nahezu jedem Touchpoint Botschaften an ihre Kunden zu senden. Da die Aufmerksamkeitskapazität des Menschen jedoch begrenzt ist, führt das schnell zu einem Information Overload. Die Kunden versuchen sich davor zu schützen, indem sie mehr und mehr Botschaften einfach automatisch ausblenden, sobald sie als Werbebotschaft erkannt werden.
Vermarkter reagieren darauf, indem sie die Botschaften so gut wie möglich personalisieren und so versuchen, die Relevanz der Botschaft für den Kunden zu erhöhen. Eine weitere Möglichkeit ist das Verstecken von Werbebotschaften in Inhalten, die nicht direkt als Werbung zu erkennen sind, was im Content Marketing oder Product Placement seine Anwendung findet. Diesen Vorgehensweisen ist gemein, dass sie versuchen, den Kunden auszutricksen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Einen anderen Ansatz schlug Seth Godin schon vor 20 Jahren in seinem Buch „Permission Marketing“ vor. Im Angesicht der heutigen technischen Möglichkeiten, die besser als jemals zuvor eine One-to-One-Kommunikation zwischen Vermarkter und Kunden erlauben, hat das Permission- oder Erlaubnis-Marketing meiner Meinung nach immer noch hohe Relevanz.
Um diesen Ansatz und seine Bedeutung für das heutige Marketing geht es in diesem Artikel.
(Lesedauer 5 Minuten)
Die Idee des Permission-Marketing
Nach Seth Godin gehört die meiste Werbung zum sog. Unterbrechungs-Marketing. Sie unterbricht potenzielle Kunden bei dem, was sie gerade tun und versucht dadurch, die Aufmerksamkeit auf die Werbebotschaft zu lenken und unmittelbar die Popularität des Produkts oder der Marke zu steigern. Da die Aufmerksamkeit des Menschen jedoch begrenzt ist, schützen sich die Kunden vor dem Information Overload dadurch, dass sie irrelevante Botschaften einfach ausblenden.
Das Permission- oder Erlaubnis-Marketing hingegen zielt darauf ab, dem potenziellen Kunden von Anfang an einen konkreten und relevanten Anreiz für seine Aufmerksamkeit zu bieten, sodass er freiwillig in einen kontinuierlichen Dialog einwilligt. Ziel ist es, aus diesem ersten Kontakt eine intensive One-to-One-Beziehung zu machen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn der Kunde ausdrücklich die Erlaubnis erteilt hat, Daten über ihn zu sammeln und zu verarbeiten, zu kommunizieren, zu personalisieren und zu informieren. Statt um eine direkte Verhaltensänderung geht es beim Permission-Marketing also um den Aufbau einer langlebigen Kundenbeziehung, im Laufe derer der Vermarkter kontinuierlich Informationen über den Kunden bekommt und so immer passendere Angebote machen kann. Im Gegensatz zum Unterbrechungsmarketing sind die Botschaften beim Erlaubnis-Marketing somit erwartet, persönlich und relevant. Die Kunden freuen sich, vom Vermarkter zu hören, weil sich die Botschaften auf die Probleme des jeweiligen Kunden und seine persönlichen Interessen beziehen.
Aufgrund der höheren Aufmerksamkeit der Kunden kann der Vermarkter wiederum seine Botschaft klar mitteilen, ohne Angst haben zu müssen, durch die nächste Werbebotschaft der Konkurrenz unterbrochen zu werden. Durch das bessere Wissen über den Kunden und die Erlaubnis zur regelmäßigen Sendung von Botschaften, erhöht sich zudem das Up- und Cross-Selling Potenzial und somit der Share of Wallet.
Wie man die Erlaubnis der Kunden bekommt
In einigen Fällen ist der Erstkontakt das Ergebnis einer Suche des Kunden nach Lösungen für ein Problem (Suchmaschinen- bzw. Inbound Marketing). In vielen Fällen jedoch steht zu Beginn der Kundenbeziehung trotz allem eine Unterbrechung, die die Aufmerksamkeit des potenziellen Kunden auf den Vermarkter lenken soll. Diese Botschaft muss dem Kunden einen klaren und für ihn lohnenswerten Anreiz bieten, seine Aufmerksamkeit auf die Werbebotschaft zu lenken und in den Dialog einzusteigen. Anders als beim Unterbrechungs-Marketing hat die erste Unterbrechung somit nicht das Ziel, ein Produkt zu verkaufen, sondern lediglich die Erlaubnis zur Zusendung weiterer Botschaften einzuholen. Dies wiederholt sich bei jeder weiteren Interaktion. So wird eine einzige Unterbrechung für eine Reihe von Kommunikationen genutzt und die ursprüngliche Botschaft vermehrt sich auf zahlreiche Botschaften. Um die Erlaubnis des Kunden zu vertiefen, müssen regelmäßig zusätzliche Anreize geboten werden. Der Verkauf erfolgt letztendlich erst, nachdem über die Zeit und mit viel Geduld eine Kundenbeziehung aufgebaut wurde.
Erlaubnisebenen
Die Kundenbeziehung und damit auch die Erlaubnis können sich somit über die Zeit vertiefen. Je nach Tiefe und Umfang der Erlaubnis darf der Vermarkter unterschiedliche Botschaften an den Kunden richten. Das Ziel der Interaktionen mit dem Kunden ist es letztendlich, ihn zur Ersteigung der Erlaubnisleiter zu bewegen.
Auf der höchsten Erlaubnis-Ebene trifft der Vermarkter selbst die Kaufentscheidungen für den Kunden in dessen Namen. Dadurch spart der Kunde Zeit, muss sich nicht selbst in dem unübersichtlichen Angebot zurechtfinden und ist auch vor Versorgungsengpässen bei regelmäßig benötigten Gütern geschützt. Voraussetzung für eine solch umfangreiche Erlaubnis ist, dass der Vermarkter zuverlässig die Produkte oder Leistungen auswählt, die für den Kunden wirklich Relevanz besitzen. Im Konsumgüterbereich machen beispielsweise der Amazon Dash Button oder die Idee intelligenter Kühlschränke, die selbständig Lebensmittel nachbestellen, diese Art der Erlaubnis deutlich.
Auf der untersten Erlaubnis-Ebene liegt die situative Erlaubnis, wie man sie täglich bei den Interaktionen zwischen Kunde und Verkaufspersonal in einem Laden findet. Sie ist sehr kurzlebig und setzt eine zeitliche und physische Nähe von Kunde und Vermarkter voraus. In der Regel leitet der Kunde diese Situationen selbst ein und geht häufig schon mit der Absicht in den Laden, einen Kauf zu tätigen. Somit geht es hierbei weniger darum, die Aufmerksamkeit des Kunden zu gewinnen, sondern die Erlaubnis zur Kommunikation über die momentane Situation hinaus zu erweitern. Diese Chance des Beziehungsaufbaus kann mit gut geschultem Personal genutzt werden.
Zwischen diesen beiden Extremen liegen Kundenbindungssysteme und persönliche Beziehungen, die für den Kunden ein Anreiz sind, regelmäßig Botschaften zu erwarten und auf sie mit Aufmerksamkeit zu reagieren, weil dem Vermarkter das Vertrauen entgegengebracht wird, persönlich relevante Informationen zu liefern.
Vier Regeln, die zu beachten sind
Um zum einen von den Kunden die Erlaubnis zur Kommunikation zu erhalten und eine Beziehung aufzubauen und zum anderen diese nicht wieder zu verlieren, sind vier Regeln zu beachten.
What’s in it for me?
Kein Kunde schenkt dem Vermarkter seine Aufmerksamkeit, wenn er davon keinen Nutzen hat. Der Kern des Erlaubnis-Marketing ist es, einem potentiellen Kunden einen Grund zu geben, seine Aufmerksamkeit umzulenken. Zu diesem Zweck muss der Kunde mit einer offensichtlichen Belohnung geködert werden, damit er zur Aufnahme der Botschaft bereit ist. Dieser Köder kann Information, Unterhaltung oder sogar Bargeld sein. Er sollte in einer gewissen Beziehung zum angebotenen Produkt stehen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die richtigen Kunden anzuwerben und zu binden. Auch im weiteren Verlauf der Kundenbeziehung muss sich jeder einzelne Austausch für den Kunden lohnen. Die Frage des Kunden „Wie profitiere ich davon?“ ist somit bei jedem Schritt zu beantworten.
Es geht um den Prozess, nicht um den Moment
Das Erlaubnis-Marketing legt seinen Fokus auf den Prozess der Kundeninteraktion. Zwar beginnt dieser Prozess mit einer Unterbrechung, wird dann aber schnell zum Dialog. Aus diesem Grund sollte sich jeder Touchpoint darauf konzentrieren, Neukunden zur Teilnahme zu bewegen und die Erlaubnis für weitere Botschaften einzuholen. Wie die Geschichten von Scheherazade aus 1001 Nacht muss jede weitere Kommunikation mit dem Ziel formuliert sein, nicht die Letzte gewesen zu sein.
Der Kunde hat die Kontrolle
Beim Permission-Marketing liegt die Kontrolle des Dialogs beim Kunden. Das bedeutet auch, dass die Erlaubnis jederzeit zurückgezogen werden kann. Aus diesem Grund zahlt es sich niemals aus, diese mit einem Trick zu erringen oder sie einfach automatisch zu vertiefen. Wenn man dem Kunden offensichtlich darlegt, was er erwarten kann und auch nur das tut, wozu man die Erlaubnis des Kunden hat, vermeidet man Missverständnisse und somit den Verlust der Kundenbeziehung.
It’s personal
Die Erlaubnis des Kunden ist nicht übertragbar. Der Kunde gibt dem Vermarkter bewusst die Erlaubnis zur Kommunikation und erwartet dann auch nur von ihm die entsprechenden Botschaften. Aus diesem Grund ist es wenig sinnvoll, Kundendaten zu kaufen oder an Dritte weiterzugeben. Dadurch verliert man lediglich das Vertrauen des Kunden. Indem man die Privatsphäre seiner Kunden nicht nur respektiert, sondern ihr Fürsprecher und so ein vertrauensvoller Partner in der Kundenbeziehung wird, kann man den Wert dieses Kapitals steigern.
Bedeutung für das heutige Marketing
Die wichtigsten Aspekte beim Permission-Marketing sind Relevanz, Vertrauen und Freiwilligkeit.
Die heutigen Analyse-Möglichkeiten erlauben es, Kunden bestmöglich kennenzulernen. Targetting, Re-Marketing und Automatisierung der Sendung von Botschaften ermöglichen die direkte Kommunikation, sobald ein bestimmtes Bedürfnis des Kunden erkannt wird – unbegrenzt skalierbar, individuell für den einzelnen Kunden, auf genau der Stufe der Customer Journey, auf der er sich gerade befindet. Darüber hinaus kann die Wirkung unterschiedlicher Kommunikationsmaßnahmen gemessen und angepasst werden, sodass die erforderliche persönliche Relevanz für den Kunden gewährleistet ist.
Auf der anderen Seite wächst das Bewusstsein der Kunden über den Wert ihrer persönlichen Daten. Im Zuge diverser Datenskandale und der DSGVO machen sich Kunden mehr und mehr Gedanken darüber, wem sie ihre Daten anvertrauen und was Vermarkter mit diesen machen. Seine deutlichste Form nimmt dies im sogenannten Vendor Relationship Management (VRM) an, das die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen im Vergleich zum Customer Relationship Management (CRM) umkehrt. Kunden stimmen nicht mehr dem Sammeln und Verarbeiten ihrer Daten im vom Vermarkter vorgegebenen Ausmaß zu, sondern entscheiden individuell, welche Daten sie an den Anbieter weitergeben – selektiv und nur in dem Umfang, der für die aktuelle Kundenbeziehung notwendig ist. Je wertvoller der Vermarkter und seine Leistungen für den Kunden also sind, desto eher wird er gewillt sein, umfangreiche persönliche Daten preiszugeben, um entsprechende Botschaften vom Vermarkter zu erhalten.
Zusätzlich zu den existierenden technischen Möglichkeiten, seinen Kunden hochrelevanten Content zu liefern, wird die Erlaubnis des Kunden, persönliche Informationen zu sammeln, zu verarbeiten und zur Kommunikation zu nutzen zunehmend notwendig.
Am effektivsten ist die Kommunikation, wenn sie wirklich freiwillig erlaubt wurde, da der Kunde dann tatsächlich an einer Interaktion interessiert ist. Im Content-Marketing ist es üblich, Kontaktinformationen als Gegenleistung für den Content (z.B. ein Whitepaper) zu sammeln. So verständlich dieses Vorgehen ist, sollte man sich allerdings fragen, ob die so erworbenen Informationen im Sinne des Permission-Marketings wirklich so wertvoll sind. Der Wunsch nach weiterer Kommunikation wurde nicht freiwillig geäußert, sondern als notwendiges Übel für den gewünschten Content erteilt. Trennt man aber den Content von der Erlaubnis zur weiteren Kommunikation (z.B. Anmeldung zum Newsletter), wird man wahrscheinlich weniger Leads generieren. Doch diejenigen, die einer weiteren Kommunikation zustimmen, sind wirklich daran interessiert.
Auch die Wirkung sog. Influencer sehe ich zu einem großen Teil in der Erlaubnis zur Kommunikation begründet. Durch das aktive Folgen bekommen sie nicht nur das Recht, bestimmte (Werbe-)Botschaften an ihre Follower zu senden – es wird regelrecht von ihnen erwartet. Wie beim Word-of-Mouth-Marketing besteht ein großes Vertrauen, der Wunsch nach Kommunikation und eine hohe Relevanz der Botschaften.
Da die Aufmerksamkeit der Kunden und dementsprechend ihre Erlaubnis zur Kommunikation begrenzt sind, wird voraussichtlich in jedem Marktsegment nur eine begrenzte Anzahl von Unternehmen in der Lage sein, sich die Erlaubnis der Kunden zu sichern. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von Conversational Interfaces wie Google Home oder Amazon Echo zeigt sich die Notwendigkeit, einen direkten, persönlichen und erwarteten Kommunikationskanal mit seinen Kunden aufzubauen. Andernfalls wird man zum Lieferanten der Erlaubnis-Inhaber und muss sich darauf konzentrieren, zum Primärlieferanten dieser Gate Keeper zu werden (z.B. durch Internal Branding).